Mittwoch, 4. Februar 2015

Leben



Wo fängt man an?
Am Anfang, schätze ich, sollte gut sein.
Die Geburt, dein erster Atemzug, dein erster Ruf, manchmal sogar schon dein erstes Blinzeln deines Lebens. Deine ersten Gedanken kreisen um die neuen Eindrücke die auf dich einströmen. Und Hunger... ja und manchmal auch dieses komische Gefühl im Bauch sodass oben oder unten plötzlich was rauskommt.
Du lernst Wesen kennen, die immer um dich herum wuseln, komische Laute von sich geben, die du nach und nach zu entziffern lernst, bis du irgendwann selbst anfängst so zu brabbeln. Du bist neugierig, saugst alles auf, was um dich herum geschieht und lernst.
Du wirst älter und hast mittlerweile so viel entdeckt, wie man spricht, wie man läuft und und und.
Allmählich erzählt man dir, was erlaubt ist, was nicht. Nicht immer hältst du dich daran, nein, du bist neugierig, du möchtest wissen, was passiert, wenn du etwas tust, was man nicht tun soll.
Dein erster Tag im Kindergarten, keine Eltern, aber andere Kinder und große Leute. Du kannst viel Spielen und viele neue Regeln lernen. Manche kennst du schon, manche sind neu, manche brichst du weiterhin. Du lernst mit der Zeit, dass es unruhig wird, wenn du Regeln brichst, manchmal wird es richtig unangenehm und du beginnst dich daran zu halten. Dann ist alles gut, du kannst spielen und bekommst Geschenke.
In der Schule wieder, neue Menschen, neue Regeln, die alten schon verinnerlicht, neues Wissen. Auf deine Noten kommt es an, deine Eltern freuen sich über eine 1, eine 2 ist auch noch echt gut, eine 3, "Du machst das beim nächsten Mal schon besser, nicht wahr Liebes.", eine 4, ach je, "wenigstens noch eine 4", alles danach, die 5 und die 6, da hast du wirklich nicht gut aufgepasst. Es ging zu schnell für dich oder es langweilt dich, egal. Eine 5 oder eine 6 ist schlecht, "So bekommst du nie einen guten Job." Du passt dich an, holst das beste aus dir heraus, du weißt, wie deine Eltern über dumme Kinder sprechen und du bist ja kein dummes Kind. Du siehst in der Schule, wie die schlechten Schüler, die einfach nicht besser werden, angesehen werden. Das möchtest du nicht. Du lernst, mehr auswendig, als mit Leidenschaft. Hier und da ein Thema, das dich begeistert. Das hilft, die kannst du schnell, bleibt etwas mehr Zeit, um die anderen Themen in dein Gehirn zu meißeln. Du musst ja einen guten Job ergreifen können.
Du hast einen Mitschüler, der ist ein ganz fantastischer Zeichner, aber Englisch kann er kaum. Er tut dir leid, denn mit Kunst kann er doch nie was großartiges werden heutzutage.
Du selbst spielst ja auch sehr gerne Gitarre, deine Eltern und sogar Freunde sagen, du bist darin so gut. Klar macht dir das riesigen Spaß, aber das ist ein Hobby. So wie du gern schwimmen gehst. Aber Geld damit verdienen, das schaffen nur die wenigsten und der Erfolg ist nicht garantiert.
Von überall strömen Informationen auf dich ein, der kaufmännische Bereich, solide Sparte, Gesundheitssystem, am besten ein Medizinstudium – Kranke gibt es doch immer, öffentlicher Dienst, geregeltes Einkommen, geregelte Zeiten, 40 Stunden die Woche, manchmal mehr, um sich mal zusätzlich etwas zu ermöglichen. Sicherheit.
Ach waren das noch Zeiten, als du unbedarft in der Schule hocken konntest. Aber so anders ist es heute auch nicht, nur die Rechnungen werden mehr, Montag bis Freitag, 8 Stunden Schicht, morgens schnell einen Kaffee, kurzer Blick durch Facebook – deine Kollegin hat schon wieder drei neue Fotos von sich hochgeladen, die hält sich wohl auch für die Schönste, ab ins Auto und los zur Arbeit.
Man soll ja nichts mit Kollegen anfangen, aber das Online-Dating läuft bei dir einfach nicht. Sechs gescheiterte Beziehungen, da muss eine andere Taktik her. Single bleiben, nein, jeder wünscht sich doch Kinder und ein Haus mit dem Ehepartner.
Und alleine sein, das klingt traurig, so einsam.
Dieser Mensch, er hat auch Seneca gelesen und mag reisen. Was für ein Freidenker, er mag wie du Klassiker auf deiner neuen Gibson spielst. Die hast du dir gegönnt. Die meiste Zeit steht sie im Schrank.
Die vielen Überstunden, ausbezahlt, lohnen sich, bald habt ihr die Raten für das Haus und die Einrichtung abbezahlt, bald ist es eures. Den Urlaub verschiebt ihr noch ein wenig, vor 8 Jahren wart ihr auf einer Weltreise, 9 Wochen 12 Länder, einmal im Jahr macht ihr einen kleinen Nostalgie-Abend, mit den Filmchen und Souvenirs und Fotos. Eure beiden Kleinen sind begeistert und lauschen euren Geschichten von den fremden Kulturen, während ihr zusammen auf der hübschen Sofagarnitur sitzt.
Gelegentlich packst du noch deine Gitarre aus, du hast zu selten gespielt, als dass es wirklich gut klingt. Wie klug es war, einen ordentlichen Job ergriffen zu haben.
Alle zwei Wochen kommen die Kinder zu dir, ihr geht shoppen oder schaut euch eure Lieblingsserie im Fernsehen an, meistens daddeln die beiden mit ihren Smartphones. Sie sind gerade in ihrer rebellischen Phase.
Deine besten Freunde trampen durch Australien, du freust dich über die Postkarten jede Woche. Das könntest du nicht, es gibt immer etwas zu tun.
Der vierte Monat in Folge, der Chef braucht jede Hilfe. Die Beförderung sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Klar wird er sehen, wie hart du für die Firma ackerst, er hat dir sogar mal ein Lob ausgesprochen. Dein Kollege ist ein echter Kotzbrocken, seitdem du dich noch mehr reinhängst.
Alle sind schon weg, die letzten Unterlagen sind per E-Mail raus an den Kunden. Schnell noch die Lichter ausmachen und dann heim. Morgen um 9 Uhr geht es weiter.
Das muss ein lauter Knall gewesen sein, du erinnerst dich nicht. Es ist furchtbar hell, ein geschäftiges Treiben um dich herum. Du  nimmst es kaum wahr. Hoffentlich wird es den Kindern gut gehen. Du hast einmal angefangen ein Fotoalbum für sie anzulegen. Als Erinnerung.
Deine Geschichte: Vom ersten Bild, was deine Eltern machten, über jedes Erlebnis aus deinem Leben. Dir stockt der Atem, es ist nicht einmal halb voll geworden, du wolltest es füllen, sobald du endlich Zeit hast.
Doch die ist vorbei.

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